Zukünftige Detektoren für die Teilchenphysik, Astroteilchenphysik oder Photon Science werden einige Milliarden elektrischer Kanäle besitzen. Zusammen mit schnell steigenden Datenraten der einzelnen Kanäle führt dies zu einem massiven Anstieg der Datenrate auf viele Terabit pro Sekunde. Die Bearbeitung dieser Datenmengen ist eine der größten Herausforderungen für zukünftige Detektorsysteme. Auch mit starker, lokaler Datenreduktion bereits im Detektor wird es nicht möglich sein, alle Rohdaten mit herkömmlicher Technik in den Counting Room zu übertragen. Ein Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderung ist eine vergrößerte Übertragungsbandbreite. Diese lässt sich beispielsweise mit einer optischen Datenübertragung realisieren.
Am IPE entwickeln wir ein universelles System zur schnellen und energieeffizienten Übertragung sehr großer Datenmengen von Detektoren großer physikalischer Experimente. Kernstück ist ein photonischer Transmitterchip mit elektrooptischen Modulatoren, welche die elektrischen Signale des Detektors in optische Ausgangssignale umsetzen. Diese werden über Glasfasern zum Empfänger im Counting Room übertragen. Hohe Übertragungsbandbreiten pro Glasfaser werden durch optische Kanalbündelung mittels Wellenlängenmultiplex (WDM) erreicht, da die Datenrate pro Kanal aufgrund der Anforderungen an Strahlenhärte und Energieverbrauch begrenzt ist.
Wir entwickeln das gesamte optische Übertragungssystem. Es besteht einerseits aus dem Transmitterchip mit monolithisch integrierten elektrooptischen Modulatoren, optischen Multiplexern und Demultiplexern, thermischen Phasenschiebern, Arbeitspunktregelungen und optischen Kopplern. Die beiden anderen wichtigen Elemente sind der elektronische Treiber mit Ansteuerung, Kontrollelektronik und Parametrierung sowie der optische Empfänger. Der Einsatz der Transmitterchips in Detektoren erfordert auch eine angepasste, zuverlässige und sehr platzsparende Aufbau- und Verbindungstechnik, die tiefen Temperaturen, starken Magnetfeldern und hoher Strahlenbelastung standhält. Diese wird ebenfalls von uns im IPE entwickelt.
Technologie
In derzeitigen Systemen kommen direkt modulierte Laserdioden als Sender zum Einsatz. Das modulierte optische Signal wird über eine Glasfaser an einen Empfänger im Counting Room übertragen. Der Nachteil dieser Technologie ist, dass jede Laserdiode, d.h. jeder Übertragungskanal eine individuelle Glasfaser erfordert. Erschwerend kommt beim Einsatz in Teilchendetektoren hinzu, dass Laserdioden unter Teilchenbeschuss nur eine sehr begrenzte Lebensdauer haben.
In dem von uns entwickelten System befinden sich die Laser außerhalb des Detektors. Somit sind sie nicht durch Teilchenbeschuss oder Strahlenbelastung beeinträchtigt und es können Standardkomponenten aus der Telekommunikationstechnik verwendet werden. Außerdem können so die Anforderungen an den erforderlichen Bauraum und der Energiebedarf deutlich reduziert werden. Das Wellenlängenmultiplexverfahren (WDM) verringert die Anzahl der erforderlichen Glasfasern erheblich: Viele einzelne Laser erzeugen optische Träger unterschiedlicher Wellenlänge. Diese werden auf eine einzige Glasfaser gebündelt und zum Transmitterchip im Detektor geleitet. Auf dem Chip befindet sich ein optischer Demultiplexer, der das Licht nach Wellenlänge aufspaltet und vielen elektrooptischen Modulatoren zuführt. Jeder Modulator kodiert ein elektrisches Datensignal auf den optischen Träger. Alle modulierten Signale werden mit Hilfe eines optischen Multiplexers wieder zusammengefasst und über eine weitere Glasfaser zurück in den Counting Room geführt. Dort befindet sich ein weiterer Demultiplexer, der die optischen Signale erneut nach der Wellenlänge trennt und auf individuelle Empfänger zur weiteren Verarbeitung leitet.
Die Verwendung elektrooptischer Modulatoren in Mach-Zehnder-Bauweise bietet den Vorteil von energiesparenden Komponenten, die eine sehr hohe Übertragungsbandbreite von über 40 Gbit/s liefern können. Durch die Verwendung von höheren Modulationsformaten als On-Off-Keying, wie Phasenumtastung (PSK) und Multilevel-Amplitudenmodulation (xASK) sind noch deutlich höhere Bandbreiten möglich. Durch die Parallelisierung per WDM lassen sich dann Übertragungsbandbreiten im Bereich von einigen Terabit/s pro Glasfaser erreichen. Wir haben bereits (De-)Multiplexer mit bis zu 45 Kanälen realisiert und auch noch mehr Kanäle erscheinen machbar.
Durch die Verwendung von Silizium als photonische Plattform ist auch die monolithische Integration der Treiberelektronik möglich, was die Aufbau- und Verbindungstechnik insbesondere bei sehr vielen Wellenlängenkanälen deutlich vereinfachen kann. Unter Beachtung bestimmter Designregeln können sowohl die Treiberelektronik als auch die siliziumphotonischen Bauelemente strahlungsresistent gemacht werden.
Solch ein Ansatz ist vollkommen neu im Bereich komplexer Detektorsysteme und könnte die Methoden der Datenerfassung und Übertragung revolutionieren. Mit dieser Technik sind im Vergleich zu aktuell eingesetzten Übertragungssystemen eine Reduktion des Energiebedarfs im Detektor und eine Steigerung des Datendurchsatzes pro Glasfaser um mehrere Größenordnungen möglich. Damit werden erheblich weniger Datenleitungen und möglicherweise auch Stromversorgungskabel und Kühlrohre benötigt. Durch die Ersparnis von Material und eingenommenem Platz kann beispielsweise die Genauigkeit der Spurverfolgung bei Experimenten in der Teilchenphysik gesteigert werden.
Wir entwerfen und simulieren die siliziumphotonischen Bauelemente. Daraus entwickeln wir integrierte photonische Chips, für die Layouts zur Fertigung bei externen Chipherstellern erstellt werden. Die fertigen Chips werden dann in unseren Labors charakterisiert und in das Gesamtsystem integriert.
Für die Ansteuerung der Modulatoren entwickeln wir Treiberschaltungen, die einerseits die Datensignale mit hoher Bandbreite auf die benötigten Pegel verstärken und andererseits die Arbeitspunkteinstellung der einzelnen Modulatoren ermöglichen. Für den dauerhaften und zuverlässigen Betrieb des gesamten Übertragungssytems sind zusätzlich Überwachungs- und Parametrierungsfunktionen integriert.
Für die Systemintegration stellt insbesondere die Kopplung optischer Fasern an photonische Chips (Faser-Chip-Kopplung) mit Toleranzen im Sub-Mikrometerbereich eine Herausforderung dar. Zum einen unterliegt der Aufbau den beengten Platzverhältnissen im Detektor. Zum anderen muss die Stabilität der Kopplung auch unter anspruchsvollen Umgebungsbedingungen wie beispielsweise tiefen Temperaturen gewährleistet sein. Wir haben bereits einen Prozess für einen kompakten Aufbau entwickelt. Dieser eignet sich aber bisher nur für Laborstückzahlen. Somit ist auch hier die Entwicklung noch lange nicht beendet.
Weitere Arbeiten in Kooperation mit dem CERN, dem INFN Pisa und der University of Bristol beschäftigen sich mit der Entwicklung von Modulatoren auf Basis optischer Ringresonatoren für das Übertragungssystem. Ringmodulatoren filtern genau die Wellenlänge heraus, die moduliert werden soll und sind dabei noch sehr kompakt. Zusätzliche Demultiplexer und Multiplexer sind hier nicht notwendig, so dass mit ihnen wesentlich kleinere Transmitterchips realisiert werden könnten. Allerdings sind die Einstellung und Beibehaltung ihres Arbeitspunktes herausfordernd und ebenfalls Gegenstand zukünftiger Entwicklungen.
Für Studierende
Wir sind ein kleines, interdisziplinäres Team am Campus Nord mit gut ausgestatteten Laboren und Arbeitsplätzen. Die Systementwicklung bietet Herausforderungen auf Gebieten der Halbleiterphysik, Photonik, Elektrotechnik und Aufbau- und Verbindungstechnik.
Für alle Teilbereiche bieten wir Studierenden aus der Physik, der Elektro- und Informationstechnik, sowie dem Maschinenbau kontinuierlich Bachelor- und Masterarbeiten an. Wir freuen uns über tatkräftige Unterstützung unseres Teams. Bei Interesse schauen Sie nach den ausgeschriebenen Arbeiten oder melden sich einfach bei Marc Schneider.
Publikationen
Schneider, M.
2023, Oktober 5. Topical Workshop on Electronics for Particle Physics (TWEPP 2023), Geremeas, Italien, 1.–6. Oktober 2023
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2023, April 12. doi:10.5281/zenodo.7821562
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2022, November 25. doi:https://doi.org/10.5281/zenodo.7361526
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2019. Topical Workshop on Electronics for Particle Physics (TWEPP2018) - Posters, Art.-Nr.: 057, Scuola Internazionale Superiore di Studi Avanzati (SISSA). doi:10.22323/1.343.0057
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2022, September 20. Topical Workshop on Electronics for Particle Physics (TWEPP 2022), Bergen, Norwegen, 19.–23. September 2022
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2020. Journal of Instrumentation, 15 (02), Art.-Nr.: P02022. doi:10.1088/1748-0221/15/02/P02022
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2019. Proceedings of Topical Workshop on Electronics for Particle Physics, TWEPP 2019, Santiago de Compostela, Spain, 2 - 6 September 2019, Code 160323. doi:10.22323/1.370.0050
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2019. Proceedings of Topical Workshop on Electronics for Particle Physics, TWEPP 2019, Santiago de Compostela, Spain, 2 - 6 September 2019, Code 160323, Scuola Internazionale Superiore di Studi Avanzati (SISSA). doi:10.22323/1.370.0053
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2020. Optical Interconnects XX, Ed.: H. Schröder, 112860Y, Society of Photo-optical Instrumentation Engineers (SPIE). doi:10.1117/12.2544694
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2020. Optical Interconnects XX . Ed.: H. Schröder, 112860P, Society of Photo-optical Instrumentation Engineers (SPIE). doi:10.1117/12.2544663
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2018. Topical Workshop on Electronics for Particle Physics (TWEPP 2018), Antwerpen, Belgien, 17.–21. September 2018
Schneider, M.; Karnick, D.; Eisenblätter, L.; Zhang, Y.; Hartmann, J.; Kühner, T.; Weber, M.
2018. sixth Common ATLAS CMS Electronics Workshop for LHC Upgrades (2018), CERN, Genf, 24.–26. April 2018
Karnick, D.; Bauditsch, N.; Eisenblätter, L.; Kühner, T.; Schneider, M.; Weber, M.
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2017. Journal of Instrumentation, 12 (03), C03078. doi:10.1088/1748-0221/12/03/C03078
Kaschel, M.; Letzkus, F.; Butschke, J.; Skwierawski, P.; Schneider, M.; Weber, M.
2016. Silicon Photonics and Photonic Integrated Circuits V, Bruxelles, B, April 3-7, 2016. Ed.: L. Vivien, 98911V, Society of Photo-optical Instrumentation Engineers (SPIE). doi:10.1117/12.2228817
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2016. Journal of Instrumentation, 11 (1), C01045. doi:10.1088/1748-0221/11/01/C01045
Karnick, D.; Skwierawski, P.; Schneider, M.; Eisenblätter, L.; Weber, M.
2016. Semiconductor Detectors in Astronomy, Medicine, Particle Physics and Photon Science : 607.WE-Heraeus Seminar, Bad Honnef, February 15-17, 2016